Während der Nachhaltigkeitstage habe ich viele verschiedene Veranstaltungen besucht. Dieses Mal stand im Rahmen der Nachhaltigkeitsimpulse des Insel Sylt Tourismus-Service (ISTS) eine vielversprechende Open Door Veranstaltung auf dem Programm. Werner Scheidt, Hoteldirektor des Hotel Niedersachsen, hatte sich bereiterklärt, von seinem Weg in die Klimaneutralität zu berichten und sein Haus zu öffnen. Als der Frühstücksraum des Hotel Niedersachsen am 20. September nachmittags seine Türen öffnete, wartete ich bereits mit einigen ebenso gespannten Besucherinnen und Besuchern auf den Einblick in das Thema Klimaneutralität. Die Veranstaltung wurde von Andreas Koch, dem Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens blueContec GmbH moderiert, der sein langjähriges Wissen zu Nachhaltigkeit im Tourismus mit den Anwesenden teilte. In meinem Studium und während meines Praktikums beim ISTS haben wir natürlich ausführlich über das Thema Nachhaltigkeit gesprochen. Es ist aber immer etwas ganz besonderes auch einen Einblick in die praktische Umsetzung in einem Hotelbetrieb zu bekommen.

Was ist überhaupt Klimaneutralität?

Zum Einstieg wurde eine gemeinsame Wissensgrundlage zu Klimaneutralität erarbeitet, denn nur dann erschließen sich die Maßnahmen, die das Hotel Niedersachsen ergriffen hat. Dazu erklärte Koch unter anderem das Konzept des CO²-Fußabdrucks. Dabei wird zwischen dem unternehmensbezogenen, dem projektbezogenen und dem produktbezogenen Fußabdruck unterschieden. Jeder wird auf eine andere Weise berechnet und beinhaltet verschiedene Komponenten. Damit hängt auch ein weiteres zentrales Modell, das Scope-Konzept, zusammen. Denn ein Betrieb kann nur dann wirklich klimaneutral sein, wenn alle drei Scopes in den Berechnungen berücksichtigt werden. Für ein Hotel bedeutet das nicht nur alle direkten Emissionen, die zum Beispiel durch Heizen und den eigenen Fuhrpark entstehen, zu berücksichtigen, sondern auch Scope 2 und 3 mit einzubeziehen. Dazu zählen zum Beispiel die Emissionen aus dem Bezug von Strom und Wärme oder von Partnern, wie Lebensmittellieferanten. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss als erster Schritt immer ein Energieaudit erfolgen, um die Emissionen zu berechnen. Erst danach kann man über Reduzierung und Kompensation nachdenken. Im letzten Schritt sollte eine klare Kommunikation der vorangegangenen Maßnahmen folgen.

Kristina Kreiss, Nachhaltigkeitsbeauftragte des ISTS, und Andreas Koch begrüßten gemeinsam die Gäste.

Ein langer Weg, der sich lohnt

Im Anschluss wurde genau dieses Vorgehen anhand des Hotel Niedersachsen beleuchtet. Werner Scheidt berichtete im Interview mit Andreas Koch über seine Motivation, die größten Herausforderungen und seinen weiteren Weg mit dem Hotel. Für alle, die das Hotel Niedersachsen noch nicht kennen: Seit 1991 führt Scheidt den 1925 eröffneten Hotelbetrieb. In unmittelbarer Nähe zum Strand und zur Innenstadt Westerlands kann man natürlich und klimafreundlich übernachten – seit 2009 auch im ersten viergeschossigen Holzhaus Deutschlands, das an das Traditionshotel angeschlossen ist. Hier finden Sie alle weiteren Informationen.

Werner Scheidt im Gespräch mit Andreas Koch.

Die für mich spannendste Frage, warum er sich auf den Weg in die Klimaneutralität gemacht hat, wurde direkt am Anfang gestellt. Da das Thema Nachhaltigkeit erst im letzten Jahrzehnt stark in den Fokus gerückt ist, fand ich es besonders beeindruckend, wie früh das Hotel Niedersachsen bereits diese Richtung eingeschlagen hat. Scheidt begründete das mit seiner Verbindung zur Natur, die ihm schon in jungen Jahren von seinen Eltern mitgegeben wurde. Außerdem lege er schon immer großen Wert auf Langlebigkeit und Zeitlosigkeit. Als größte Herausforderung berichtete er vom Bau des vierstöckigen Holzhauses im Jahr 2009. Es sei schwierig gewesen Planer, Architekten und die Bauämter von dieser ungewöhnlichen Bauweise zu überzeugen. Im gemischten Team aus Österreich (Experten für Holzbau) und Norddeutschland habe er „Fischköppe und Almdudler“ zusammenbringen müssen. Aber mit viel Kommunikation und zwischenmenschlichem Kontakt konnten alle Probleme aus dem Weg geräumt werden. Der Bau mit Holz sei ihm besonders wichtig gewesen, betonte Scheidt, denn ein Kubikmeter verbautes Holz entzieht der Umwelt eine Tonne CO2, während ein Kubikmeter verbauter Beton eine Tonne CO2 freisetzt. Seine größte Sorge nach der Umbaumaßnahme erwies sich allerdings als völlig unbegründet. Trotz der preislichen Änderung war das Hotel kurz nach der Fertigstellung komplett ausgebucht. Viele Gäste seien auch einfach neugierig gewesen, erzählte der Hoteldirektor. Jetzt, 13 Jahre nach der Baumaßnahme, seien bald alle Schulden getilgt und er freue sich darauf, neue Projekte anzugehen. Ob als nächstes eine Photovoltaik-Anlage gebaut oder eine Buchungsermäßigung für Gäste, die mit der Bahn anreisen, eingeführt wird, stehe aber noch in den Sternen. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass es ihm nicht an neuen Ideen mangelt. Wenn auch Sie ein Hotel auf Sylt betreiben und den Weg in die Klimaneutralität gehen möchten, empfiehlt Scheidt mit der CO2-Kompensation der An- und Abreise Ihrer Gäste zu starten. Das sei ein erster Anfang und relativ leicht umzusetzen. Er selbst arbeitet mit Climate Partner zusammen und hat unter anderem über ein Mangrovenprojekt kompensiert. Aktuell wird das Klimaschutzprojekt „Wasseraufbereitung West-Kenia“ unterstützt. Es gibt also vielfältige Möglichkeiten zur Kompensation, über die Sie sich auch hier informieren können.

Kleiner Rundgang durchs Haus

Damit wir all das, was wir in der Theorie gerade gehört hatten, nun auch in der Praxis sehen konnten, hat uns Herr Scheidt zu den wichtigsten Stationen geführt und uns alles gezeigt. Die erste Station war dabei die Rezeption, denn hier hängen Plakate zu den verschiedenen Kompensationsprojekten der vergangenen Jahre mit konkreten Zahlen. 2020 wurde zum Beispiel das Projekt „MoorFutures“ unterstützt, bei dem das Königsmoor in Schleswig-Holstein renaturiert wurde und so wieder große Mengen CO2 speichern konnte. Auf dem Plakat gab es auch genaue Angaben zu den im Durchschnitt verursachten Emissionen pro Gast.

Die durchschnittlichen Emissionen pro Gast im Jahr 2020 aufgeschlüsselt nach den drei Scopes.

Solche Themenecken konnte ich überall im Hotel finden. Sie klären über die verschiedenen Projekte und Maßnahmen zur Senkung der Emissionen und zur Kompensation auf. Es gibt also immer etwas zu entdecken. Anschließend führte uns Scheidt zur Energiezentrale des Hotels, in die jeder einen Blick werfen konnte. Im Herzstück des Hotels befinden sich zwei Wärmepumpen, mit deren Hilfe das Hotel über Erdwärme beheizt wird. Im Sommer wird das Arbeitsprinzip einfach umgekehrt, sodass eine Kühlung von Wasserkreisläufen möglich ist. Die neue Lüftungsanlage arbeitet mit dem Prinzip der Wärmerückgewinnung, für die ein Wärmetauscher sorgt. Mit der modernen Dämmung von 32 cm Dicke wird die Wärme sicher im Haus gehalten. Um zum Abschluss noch einen Blick auf den Holzanbau zu werfen, versammelten wir uns auf der Terrasse, von der wir den besonderen Rundbau von außen sehen konnten. Hier ließ sich die unlasierte Holzverkleidung erkennen, die zum Teil von der Holzbauweise in Österreich inspiriert ist.

Der Blick in die Energiezentrale.
Das Hotel von außen.

Gemeinsamer Austausch am veganen Buffet

Schon während der Veranstaltung wurden uns gesunde Smoothies und Bio-Getränke gereicht, auf das kleine vegane Buffet haben sich deshalb alle umso mehr gefreut. Mit vielen leckeren Kleinigkeiten konnte jeder in die vegane Küche eintauchen und somit ein weiteres Konzept zur Emissionsverringerung selbst ausprobieren. Bei Chia-Pudding, Algensalat oder Bruschetta wurden noch viele Fragen gestellt und beantwortet und alle Teilnehmer konnten sich untereinander austauschen. So kam ich zum Beispiel mit einer Frau ins Gespräch, die schon seit vielen Jahren nur noch im Hotel Niedersachsen Urlaub macht, weil sie vom ganzheitlichen Konzept überzeugt ist und sich immer wohlfühlt. Andere Teilnehmer hatten das Hotel an diesem Tag zum ersten Mal von innen gesehen und waren fasziniert von den vielfältigen Möglichkeiten, ein Hotel klimaneutral zu gestalten. Auch für mich war dieser Nachmittag rundum gelungen, denn jetzt weiß ich, dass komplette Nachhaltigkeit im Tourismus auch in der Praxis funktionieren kann: mit einem klimaneutralen Hotel!

Bunte Vielfalt am veganen Buffet.