Ein Erfahrungsbericht von Kristina Kreiss, Nachhaltigkeitsbeauftragte des Insel Sylt Tourismus-Services (ISTS)

Mission: Mitlaufen, mithelfen, verstehen
Die Fragen, die mich antreiben: Wie hart ist der Job, den Maja und ihre zwei Kollegen ausüben? Was ist es für ein Gefühl tagtäglich zu sehen, wie fahrlässig Menschen mit der Sylter Natur umgehen? Das Ausmaß unserer Wegwerfgesellschaft vor Augen geführt zu bekommen? Was sind die Gründe, warum immer mehr Müll an den Strand gelangt? Und: Was können wir als Tourismus-Service besser machen? Wie können wir dafür sensibilisieren, was Plastik und Zigarettenkippen in der Natur anrichten? Wie können wir es unseren Gästen am Strand einfacher machen, den Müll richtig zu entsorgen, wenn schon neue Angebote wie die Recyclingstationen zum pfleglichen Umgang mit der Natur nicht angenommen werden? Wie können Gleichgültigkeit und Ignoranz beseitigt werden? Wie mehr Respekt vor Mensch und Natur erreicht werden? Denn Fakt ist: Mutwillig in der Natur hinterlassener Müll und überquellende Mülleimer sind mittlerweile leider die Regel, nicht die Ausnahme. Die Hinterlassenschaften der Strandbesucher haben ein Ausmaß angenommen, das mit der bisherigen Infrastruktur kaum noch zu bewältigen ist.

Freitagmorgen, 5.30 Uhr. Hauptstrand Westerland
Ich treffe Maja am Strand auf Höhe der Musikmuschel. Sie arbeitet bereits seit ca. 5.00 Uhr. Heute ist sie zuständig für den Hauptstrand – etwa von der Strandstraße bis zum Strandabschnitt Sylt-Stadion/Südwäldchen. Maja ist Strandreinigerin. Sie läuft an sechs Tagen die Woche jeden Morgen bereits vor Sonnenaufgang los. Marschiert den gesamten Hauptstrand ab und beseitigt den Müll, der vom Vortag und von den nächtlichen Strandpartys liegen geblieben ist. Und das kann in der Hauptsaison sehr viel sein! Das werde ich heute allzu deutlich mit eigenen Augen erkennen…

Sammlerin mit Herz und Seele
Maja überrascht mich! Sie ist bestens gelaunt, noch etwas müde, aber voller positiver Energie. Maja ist Anfang 30 und kommt eigentlich aus der Gastronomie. Eine typische Saison-Hopperin: im Sommer auf Sylt am Meer, im Winter in den Bergen von Lech. Als sie die Anzeige des Insel Sylt Tourismus-Services (ISTS) „Strandreiniger gesucht“ las, dachte sie sich, den Job will doch sicher jeder machen: Frühmorgens am Strand die Ruhe, das Licht und die magische Atmosphäre genießen und gegen Mittag ist die Arbeit bereits erledigt. Bewegung an der frischen Luft und dabei unseren Planeten ein bisschen sauberer machen. Mehr Zeit für die Familie und für Freunde. So formuliert, klingt es tatsächlich nach „Work-Life-Balance“ und „Purpose“, wonach doch jeder irgendwie sucht. Eine Aufgabe mit Sinn, etwas zurückgeben – großartig!

Auf die Plätze, fertig, sammeln!
Maja weist mich kurz ein, gibt mir meine Arbeitshandschuhe und stattet mich mit ausreichend Müllsäcken und Drahtverschlüssen für die erste Strecke aus. Barfuß und hochmotiviert starte ich los, komme aber nicht recht vom Fleck. Maja desillusioniert mich: „Du kannst dich nicht für jede Kippe bücken, sonst schaffst du die Runde nicht.“ Auch sie musste das lernen, denn sobald die ersten Strandkorbmieter kommen, muss das Schlimmste beseitigt sein.

Schadstoffe und Mikroplastik
Aber die schiere Menge an Kippen entsetzt mich. Kippen in der Natur sind eine große Gefahr. Sie enthalten nicht nur giftige Schadstoffe, die ausgespült werden und in Böden und Meere gelangen, die Filter enthalten auch Plastik. Beim Zerfallsprozess entsteht schädliches Mikroplastik, das wiederum ins Meer gespült wird. Und da liegen sie – überall verteilt am Sylter Strand. Auf den ersten Blick kaum zu sehen. Ich werde wütend. Es ist nicht so, dass mir das vorher nicht bewusst war. Aber es so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, lässt mich etwas verzweifeln.

Welcher Müll findet sich am Strand?
Schnell lerne ich, wo Strandkörbe im Kreis zusammengeschoben wurden, da verbergen sich die schlimmsten Müllsünden. Aber auch sonst ist viel zu tun: Bierflaschen, teils bergeweise. Plastik- und Pappbecher, Flaschendeckel und Kronkorken, Pizzakartons, Burgertüten und viele andere „To Go“-Verpackungen. Chipstüten, Kaugummi, Bonbonpapier und wieder leere Flaschen. Schnaps, Sekt, Wein, Getränkedosen, hier hatten wohl eine Menge Leute Spaß.

Kurzschlussreaktion: Das Ausmaß zeigen
Kurz beschleicht mich der irrationale Gedanke, einfach mal für eine Woche den Strandreinigungsservice komplett einzustellen. Das Ausmaß des Müllproblems tatsächlich sichtbar zu machen und nicht, wie von Geisterhand, beseitigen zu lassen, bevor der erste Gast an den Strand kommt. Würde das helfen? Würde damit jedem klar werden, was das eigene Verhalten für Auswirkungen hat? Spätestens dann, denke ich, würden doch alle einsehen, dass diese vermüllten Strände nichts mit einer Welt zu tun haben, in der wir leben möchten und dass wir das wertvolle Ökosystem Nordsee für Pflanzen und Tiere erhalten müssen!

Verantwortung & Respekt
Doch dann werde ich wieder vernünftig: Die Mehrzahl der Strandgäste geht respektvoll und anständig mit der Natur um. Sie nehmen ihren Müll selbstverständlich mit und würden nicht im Traum daran denken, Plastik, Flaschen oder Kippen zurückzulassen. So viele Kinder kommen jeden Tag an den Strand, buddeln und spielen im Sand. Es wäre nicht fair, sie dafür zu bestrafen, wie verantwortungslos sich andere verhalten. Also, was tun? Braucht es mehr Mülleimer? Braucht es größere Mülleimer? Braucht es Verbote? Schärfere Kontrollen und Strafen? Was bewegt Menschen dazu, im Einklang mit der Natur und respektvoll miteinander zu leben?

Möwenkampf um Reste
Zumindest die Möwen freuen sich. Begeistert stürzen sie sich auf die Lebensmittelreste und Verpackungen, zerfleddern den Müll und verteilen ihn dabei in alle Himmelsrichtungen. Das macht es für Maja und die anderen Strandsammler quasi unmöglich, den kompletten Müll wieder einzusammeln und aus der Natur zu fischen. Dabei ist Plastik in den Meeren mittlerweile ein unfassbar großes Menschheitsproblem! Wenn wir so weitermachen, gibt es bald mehr Plastik in den Meeren als Fische.

Woher kommt´s? Mehr Müll durch To-Go
Coronabedingt gehen viele Menschen nicht mehr gern Essen, sondern holen sich etwas zum Mitnehmen für den Strand. Auch hatten Bars und Diskotheken lange geschlossen und der Strand bietet in lauen Sommernächten eine Alternative, sich zu treffen und zu feiern. Das Müllaufkommen am Strand ist dadurch so groß geworden, dass selbst die neuen Recyclingstationen an den Strandaufgängen nicht ausreichen. Als Problem kommt hinzu: Wenn eine Tonne voll ist, wird der Müll in eine andere geworfen. Was, neben Unkenntnis, Ignoranz oder Trägheit, auch ein Grund dafür ist, dass an den Stationen nicht immer korrekt getrennt wird.

Recyclingstationen am Strand 
Mit den Recyclingstationen an den Strandübergängen hat der ISTS die Möglichkeit geschaffen, nach den unterschiedlichen Müllarten richtig zu trennen, um ein ressourcenschonendes Recycling zu befördern. Leider zeigt sich aktuell, dass diese Möglichkeit zur Mülltrennung nur bedingt genutzt wird. An manchen Tagen ist der Inhalt der unterschiedlichen Tonnen (gelb, grau, grün) kaum zu unterscheiden. Einige Strandbesucher werfen ihren Müll offensichtlich einfach in die nächstgelegene Tonne, ohne auf die Trennung zu achten. Eine getrennte Entsorgung ist daher häufig unmöglich.

Partyzone und Müll-Hotspot
Der absolute Negativhöhepunkt erwartet uns gegen Ende der Tour. Maja hatte mich schon vorgewarnt, denn dieser Bereich hat sich mittlerweile als Party-Hotspot etabliert. Es ist der Randbereich des Hauptstrands. Was ich hier sehe, macht mich sprachlos. Maja sagt, „das ist eigentlich noch harmlos, das hatten wir schon viel schlimmer.“ Aber ich denke: „So viel Müll, von nur einer Nacht!“ Zerbrochene (!) Glasflaschen gefährlich in den Sand gesteckt, säckeweise Alkohol in Flaschen und Dosen, das mir schon beim Eintüten schlecht wird. Und Kippen in rauen Mengen. Ich bin ehrlich angewidert. 

Nach mir die Sintflut?
Das Wut-Level steigt. Klar, ich gönne jedem gute Partys. Ich verstehe auch, dass man sich abends am Strand trifft und sich dort mit allem Erdenklichen für eine Feier ausstattet. Ich verstehe aber nicht, warum man seinen eigenen Müll nicht wieder mit nach Hause nimmt?! Hergeschleppt hat man ihn schließlich auch! Was, um alles in der Welt, bewegt vernunftbegabte Menschen, einen riesigen Müllhaufen am Strand zu verteilen? Wohl wissend, irgendwer muss den Dreck auch wieder einsammeln. Was ist das für eine Ignoranz, nach mir die Sintflut zu denken? Eine Frage, wie sie aktueller nicht sein könnte.

Im Team gemeinsam für den Strand
Wir geben Gas. Bald kommen die ersten Gäste und das Zeug muss weg. Glücklicherweise stößt hier Majas Kollege Jürgen dazu. Er ist passionierter Strandreingier, eigentlich sein ganzes Berufsleben lang. Seit 38 Jahren macht er den Job jetzt schon. Auf meine Frage, ob er in der Zeit viel Mist gesehen hat, antwortet er mir: „Aber auch viel Schönes, deswegen bin ich ja noch dabei!“ Maja und Jürgen bilden gemeinsam mit Christoph ein dreier Team. Jeder hat seine feste Route. Die gesamte Strecke beginnt an der Nordseeklinik und endet ca. 300 Meter südlich vom Hundestrand Baakdeel. Das ist eine Mammutaufgabe. Aber an den Hotspots treffen sie sich und unterstützen sich gegenseitig. Denn die drei wissen, für einen allein ist das eigentlich nicht zu schaffen. Der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl am Strand sind deutlich spürbar. Auch die Strandkorbvermieter helfen mit, ihren Bereich in Ordnung zu bringen und laden Maja zum Abschluss auf einen heißen Kaffee ein. Trotz der anstrengenden körperlichen Arbeit ist Maja dankbar und glücklich über ihren Job. Zum Abschluss und Feierabend springt sie noch oft in die Nordsee. Wer kann das schon von sich behaupten. 

Ich danke Maja fürs Mitnehmen, für Ihren engagierten Einsatz und für die vielen anschaulichen Fotos von den Zuständen am Strand.