Meike Schützek, der NGO Ocean. Now! erzählt in unserem Interview von ihrer Initiative für ein Verbot von Mikroplastik, ihren Workshops, Erfolgen in der Politik und die spannende Vernissage #INYOURFACE.

Liebe Meike,
vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast. Die Meeresschutzorganisation Ocean. Now! e.V. traf 2019 auf die Künstlerin Swaantje Güntzel. Daraus entstand eine internationale Initiative, um auf die Mikroplastik-Problematik aufmerksam zu machen.

Kannst du uns erzählen, wie es war, Swaantje kennenzulernen und was euch bis heute verbindet?

Ich lernte Swaantje auf einer ihrer Ausstellungen in der Nähe von Bremen im Sommer 2018 kennen. Meine Mutter hatte mich auf ihre Ausstellung „Solastalgia“ aufmerksam gemacht und wir schauten sie uns gemeinsam an. Ich war von Anfang an von ihrer Kunst beeindruckt, mir hat ihre Ästhetik und vor allem der Ansatz sehr gefallen, wie sie wissenschaftliche Informationen aufgreift und das menschliche Verhalten spiegelt. Ich erzählte ihr davon, dass ich plane, eine NGO zu gründen und fragte, ob sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnte. Ein paar Monate später hatten wir unser erstes Kampagnenthema definiert – „Mikroplastik in Kosmetik“. Als wir im Anschluss sprachen, empfahl Swaantje ihre Arbeit Microplastics II, es war ein Kunstwerk, wie es besser nicht passen könnte. Wir schätzen uns sehr glücklich, dass sich unsere Zusammenarbeit mit Swaantje so entwickelt hat. Ich denke, was uns verbindet, ist unser Verständnis für das Gefühl, das Konzeptkunst vermitteln kann. Wir teilen außerdem einen Sinn für die Rolle, die Ästhetik dabei spielt. Und wir sind uns auf einer persönlichen Ebene insofern ähnlich, als dass wir nach mehr streben – wir geben uns mit dem Wahnsinn, der passiert, nicht zufrieden und machen dies in unserer Arbeit deutlich.

Microplastics II von Swaantje Güntzel, Foto: Henriette Pogoda

Was genau macht Ocean. Now! e. V.? Kannst du uns euer Engagement kurz skizzieren?

Das Konzept von Ocean. Now! ist, mit der Kraft der Kunst dazu beizutragen, das Nachhaltigkeitsziel 14 der Vereinten Nationen – „Leben unter Wasser“ – zu erreichen. Wir sind in zwei Bereichen aktiv. Einerseits arbeiten wir mit Konzeptkunst, die sich an ein Kampagnenthema anlehnt und erreichen mit ausdrucksstarken Bildern die Medien und somit politische Entscheidungsträger. Andererseits kollaborieren wir mit dem Bildungssektor und bieten Kindern Ozean Workshops an. Diese bestehen aus einem Bildungs- und einem Kreativteil. Wir hoffen so, einen Beitrag dahingehend zu leisten, dass junge Menschen das Zero Waste Prinzip früh in ihrem Leben kennen- und leben lernen.

Euer Ansatz, Kunst mit Wissenschaft und politischer Öffentlichkeitsarbeit zu verbinden, ist ziemlich einzigartig. Wo siehst du eure größten Einflussmöglichkeiten und wo sind die Grenzen?

Wir denken, dass Kunst Menschen auf eine besondere Weise erreichen kann, sie spricht das emotionale Gehirn des Menschen an und somit den Teil, der unser Handeln bestimmt. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind sehr wichtig, sie bieten eine unerlässliche Basis für unsere Arbeit und politische Öffentlichkeitsarbeit stellt den Rahmen dar, um Wirkung zu zeigen. Wir sehen in Konzeptkunst einen Träger für Emotionen, um Menschen nachhaltig zu inspirieren. Unsere Grenzen des Einflusses liegen ganz klar darin, dass Menschen in unserer Gesellschaft täglich eine Flut an Informationen verarbeiten und sich somit nicht allen Themen widmen können – und dabei gibt es etliche Themen, an die wir Menschen ranmüssen, um einen gesellschaftlichen Wandel auf unserem Planeten zu beschleunigen.

Was bedeutet es euch, die Ausstellung #INYOURFACE auf Sylt in so prominenter Lage und unmittelbarer Nähe zum Meer zu zeigen?

Dieser Ort, die Musikmuschel in Westerland, ist bisher der bedeutungsvollste für unsere Ausstellung #INYOURFACE. Es ist der sechste Ort, an dem wir die Ausstellung zeigen, und er ist in vielerlei Hinsicht der bisher passendste. Es ist einmal die Musikmuschel in ihrer Ästhetik und die Portraitwand, die sich hier so optimal in ihrer Größe darstellt. Darüber hinaus ist die Lage an der Strandpromenade großartig, um viele Menschen zu erreichen. Und letztlich ist es wunderbar, direkt am Strand zu sein und das Meeresrauschen im Hintergrund zu hören, denn so sind wir auch körperlich mit dem Ozean verbunden. Wir sind unendlich dankbar, hier vor Ort sein zu dürfen.

Die Medienresonanz auf #INYOURFACE war und ist weiterhin enorm.
Die Reaktionen sind sicherlich nicht immer nur positiv. Wie argumentiert ihr, wenn sich Menschen über „negative“ Kunst im öffentlichen Raum beschweren?

Wir haben bisher nur einmal eine „negative“ Rückmeldung erhalten und freuen uns, dass die Resonanz ganz eindeutig überwiegend positiv ist. Uns ist dennoch bewusst, dass Kunst immer subjektiv ist und es passieren kann, dass Menschen den Anblick der Bilder als unangenehm empfinden. Unserer Ansicht nach ist dies jedoch eine Verständnisfrage und oft auch darauf zurückzuführen, dass Menschen in unserer heutigen Zeit mit den Weltgeschehnissen leicht überfordert sind. In so einem Fall suchen wir den Dialog mit der Person und erklären ihr das Konzept des Projekts, und meist klärt sich damit auch das Bedenken auf. Es liegt uns nicht ferner, als jemanden vor den Kopf zu stoßen – im Gegenteil, die Portraitwand mit 56 Portraits sagt ja auch symbolisch „wir sind viele“ und unsere Absicht mit #INYOURFACE ist es, Menschen zusammenzubringen, einen Dialog anzuregen. Aus diesem Grund sind wir auch besonders stolz darauf, dass das Projekt auch als Diskussionsbeispiel in einem Schulbuch für die gymnasiale Oberstufe auftaucht.

Ihr bietet auch OZEAN WORKSHOPS für Kinder an. Magst du uns davon kurz erzählen?

Unsere Workshops bestehen aus einem Bildungs- und einem Kreativteil und befassen sich inhaltlich mit einem Themenbereich des Nachhaltigkeitsziel 14, „Leben unter Wasser“. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel mit dem Thema des Plastikproblems. Wir denken, dass junge Menschen bereits die richtige Intuition in sich tragen, wie der Mensch sich korrekt auf unserem Planeten verhalten sollte. Jedoch verlernen sie diese Intuition in unserer Gesellschaft. Wir möchten mit unseren Workshops Beitrag dahingehend leisten, dass sie das Zero Waste Prinzip früh in ihrem Leben kennenlernen und es im Alltag umsetzen. Das bedeutet, die „3 R’s“ – Refuse, Reuse, Recycle – zu kennen und zu leben. Auch in den Workshops arbeiten wir mit der Annahme, dass es sinnvoll ist, einen Bildungsteil mit Kreativität (Malen, Zeichnen, Basteln, Fotografie) zu ergänzen, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.

Was würdest du sagen, was sind eure Erfolge in der Vergangenheit? Welche konkreten Veränderungen siehst du durch euer bisheriges Engagement?

Auf der politischen Ebene stellen sich Erfolge leider oft sehr langsam ein, Kampagnen erfordern hier oft einen sehr langen Atem – vor allem in einem Land, dessen milliardenschwere Industrie maßgeblich an der Produktion von Plastik beteiligt ist. Wir setzen uns seit Ende 2018 für ein gesetzliches Verbot von Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln ein. Hier haben wir bisher Teilerfolge erzielt – auf der nationalen Ebene haben wir beispielsweise unsere Petition an das Bundesumweltministerium 2019 (90.000 Unterschriften) und 2022 (126.000 Unterschriften) übergeben. Unser Kampagnenziel hat es außerdem in den Koalitionsvertrag der neuen Regierung geschafft. Auf der EU-Ebene, wo Prozesse noch komplexer sind, bedeuten für uns schon kleine Dinge ein Erfolg, wie beispielsweise ein Antwortschreiben der Direktorin der EU-Kommission (Ursula von der Leyen) auf eine unserer Aktionen.

Bei den Events, die wir organisieren und auch in den Kinder Ozean Workshops stellt sich der Erfolg schnell ein. Wenn wir positive Rückmeldung der Teilnehmer*innen erhalten, motiviert dies uns sehr weiterzumachen. Dies nährt den langen Atem, den wir für die politische Arbeit brauchen. Wir arbeiten außerdem aktuell ein Konzept aus, mit dem wir hoffen, die Wirkung unserer Arbeit – und somit auch die Veränderung an sich – im Alltag der Teilnehmer*innen im Nachhinein auch messen zu können.

Hast du dir persönlich, aber auch für Ocean. Now!, konkrete Ziele für das Jahr 2022 gesetzt und was wünschst du dir von der Politik?

Unser Ziel Nummer #1 für 2022 ist, unser Kampagnenziel eines gesetzlichen Verbots von Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln gegen Oktober diesen Jahres (endlich) zu erreichen. Die EU-Kommission arbeitet aktuell (nach einjähriger Verzögerung) das gesetzliche Verbot aus, das dann Anfang 2023 in den EU-Ländern angewendet wird. Allerdings ist die Lobby der Industrie, die weiter mit Kunststoff arbeiten will, mächtig und das bedeutet für uns – und unsere 13 Bündnispartner – weiter gegenzuhalten. Wir arbeiten beispielsweise parallel gerade an einer Case Study gemeinsam mit einem dieser Partner, die hoffentlich demnächst spruchreif wird und zu unserem Ziel beitragen wird.

Ein weiteres Ziel von Ocean. Now! ist, #INYOURFACE auf der UN-Ozeankonferenz in Lissabon prominent darzustellen und vor Ort einen öffentlichen Dialog anzuregen.
Ihr seid mit Ocean. Now! Teil des Stakeholder Netzwerks der UN-Ozeandekade. Was bedeutet das und wie ist deine Vision für die Ozeane 2030?

Die UN-Ozeandekade ist eine globale Kampagne mit dem Ziel, gemeinsam den Ozean zu gestalten, den wir für die Zukunft brauchen. Wir begrüßen die Vision der UN-Ozeandekade – ein Ozean voller Leben, der wächst und gedeiht, der gesund ist und der geschützt wird. Sie beschreibt einen Ozean, der nicht ausgebeutet, sondern nachhaltig genutzt wird. Diese Vision entspricht der Vision von Ocean. Now!. Als einer der vielen globalen Stakeholder, die zur UN-Ozeandekade beitragen, machen wir das, was wir tun, in einem globalen Netzwerk transparent und bekunden somit unser Verständnis für eine internationale Gemeinschaft. Dies bedeutet auch, dass wir Perspektiven wie beispielsweise marginalisierter Gruppen – wie beispielsweise indigener Kulturen – in unserer Kommunikation berücksichtigen. Wir bemühen uns, Diversität zu leben und mit Bezug auf Religionen und Philosophien neutral in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Übrigens haben wir gemeinsam mit unseren Partnern das Videoprojekt  gestartet, welches bei der UN-Ozeandekade vorgestellt wurde.
Schaut euch das fertige Video „Magisches Meer“ an.

2030 ist noch sehr lange hin. Ich wünsche mir für den Ozean, dass er schon vor 2030 beginnt zu gesunden, dass der Ausstoß von Treibhausgasen und somit die Versauerung abnimmt und seine Biodiversität sich vervielfältigt. Ich würde mir sehr wünschen, dass Korallenriffe wieder aufleben und sich in ihren Farben und ihrer Vielfalt zeigen können; dass die Vermüllung – durch Plastik, Abwasser, Munition – stark abnimmt, gesetzlich verboten ist und der Ozean wieder atmen kann; und dass die wahnsinnige Überfischung aufhört und alle Menschen unterscheiden können, welcher Fisch nachhaltig oder mit Riesentrawlern gefangen wurde, so dass es wieder ein funktionierendes Ökosystem im Meer gibt. Schließlich stelle ich mir vor, dass der Unterwasserlärm, den wir Menschen ständig verursachen, durch Abkommen reguliert ist, sodass der Ozean Ruhe bekommt und sich erholen kann.

Liebe Meike, ich danke dir herzlich für das Interview und deine Zeit!

Die Vernissage #inyourface kann noch bis zum 16. April 2022 auf der Westerländer Promenade besucht werden

>> Zur Ausstellung

 

Vielen Dank auch an die Fotografen Saskia Uppenkamp und Tomaso Baldessarini, von denen die Bilder der Ausstellung erstellt wurden (siehe Headerfoto)