Fast jeder von uns kann einen Dialekt sofort einordnen, wenn er ihn auf der Straße hört. Nehmen wir einen ganz normalen Markt in einer Multikultistadt zur Urlaubszeit: Da berlinert einer fröhlich sein „Icke“ um die Ecke, anderorts bestellt ein Bayer eine Maß, irgendwo zwischendrin sitzt gut hörbar ein Sachse und erzählt von letzter Nacht und auf dem Markt bietet der eindeutig norddeutsche Fischhändler seine Waren feil. Tja, wenn Sie jetzt den Bayern fragen, wie das Wetter in München so ist, gibt’s vielleicht Ärger: der ist ja aus der Oberpfalz. Der Thüringer reagiert empört, als man ihn auf Sachsen anspricht und auf die Frage nach dem Wetter in Hamburg gibt’s mal richtig Anpfiff vom Fischhändler – und zwar in allerfeinstem Sölring. Der Fischhändler ist nämlich Sylter.

Sölring, der Sylter Dialekt der friesischen Sprache

Und auf Sylt spricht man nicht einfach nur Norddeutsch oder Platt. Man spricht Sölring – oder Söl’ring, wie die Sylter ihre eigene Sprache schreiben: den Sylter Dialekt der friesischen Sprache. Die ist zwar ganz eindeutig noch mit dem Deutschen verwandt – aber eben auch schon deutlich zu weit entfernt, um selbst einfach nur ein Dialekt zu sein.

Zu Hochdeutsch bedeutet Söl’ring einfach nur „Sylterisch“. Während einige Dialekte eigentlich eher Akzente sind, ist Sölring ein echter, richtiger Dialekt des Friesischen mit eigenen Wörtern und Verbformen, die sich vom „normalen“ Friesisch unterscheiden und komplett anders sind als sonst wo im Norddeutschen Raum – ja sogar anders als auf den nahen Inseln.

Auf der Nachbarinsel Föhr spricht man Fering, auf Amrum Öömrang und auf dem Festland findet man dann je nach Gebiet verschiedene Harder- und Mooring-Dialekte. Für Gäste ist das alles sicherlich schwer bis unmöglich auseinanderzuhalten – irgendwie klingt das doch alles wie eine Mischung aus Dänisch, Deutsch und ein wenig Englisch, oder? So falsch ist die Vermutung gar nicht. Sylt ist die nördlichste Insel Deutschlands und damit besonders stark von der dänischen Sprache beeinflusst. Genauer gesagt vom südjutländischen Dialekt der Dänen. Dazu gesellen sich auch noch Einflüsse aus dem Altenglischen – deswegen wird zum Beispiel aus dem Schlüssel der „Kai“ (vom englischen Key).

Wie spricht man Söl´ring?

Ein simples Indiz für den Unterschied des Söl´ring zu anderen norddeutschen Dialekten ist die Vokalbildung: Wo etwa auf Föhr der Fisch zum Fask wird, ist er auf Sylt der Fesk. Das „i“ wird andernorts also zum „a“, hier bei uns auf Sylt zum „e“ – sicherlich muss man als Besucher trotzdem ganz genau hinhören, um Unterschiede auszumachen. Dazu kommen im Söl´ring aber natürlich noch viele eigene Wörter, die zwar dem Hochdeutschen entliehen sind, aber nur noch sehr entfernt daran erinnern. Eine kleine Vokabel-Übung:

Deutsch      Söl´ring
Feuer Jöl
Weihnachten Jööl
Käse Aast
Auto Wain
Guten Appetit! Smaakelk liten!
Land Lön

 

Söl’ring als Sprache erhalten

Vereine und Bewegungen, die die Mundart ihrer Region bewahren möchten, gibt es viele – auf Sylt nimmt die Erhaltung des Söl´ring aber eine Sonderstellung ein. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts erschienen mit Di Söl’ring Pir’rersdei (Der Sylter Petritag) und Di lekkelk Stjüürman (Der glückliche Steuermann) von Jap Peter Hansen Romane auf Sölring. Sein Sohn Christian Peter legte später mit Ualó Sölòring Tialen nach – den Alten Sylter Geschichten, die heutzutage quasi als Nationalmythos gelten. Auch im 20. Jahrhundert setzten viele Sylter Autoren auf ihre Muttersprache – bis hin zu Christian Peter Christiansen, der die Sylter Hymne Üüs Sölring Lön („Unser Sylter Land“) schrieb:

Üüs Söl’ring Lön’

Üüs Söl’ring Lön’, dü best üüs helig;
Dü blefst üüs ain, dü best üüs Lek!
Din Wiis tö hual’en, sen wü welig;
Di Söl’ring Spraak auriit wü ek.
Wü bliiv me di ark Tir forbün’en,
Sa lung üs wü üp Warel’ sen.
Uk diar jaar Uuning bütlön’ fün’en,
Ja leng dach altert tö di hen.

Kumt Riin,
Kumt Senenskiin,
Kum junk of lekelk Tiren,
Tö Söl‘ wü hual‘
Aural;
Wü bliiv truu Söl’ring Liren!

Diese Liebe zur Sprache sorgt bis heute dafür, dass sich viele Sylter mit Söl´ring identifizieren – und dass der Verein Söl´ring Foriining sich mit großer Leidenschaft und Freunde um Brauchtum und Sprache auf Sylt kümmert. Wenn ihr mal auf Sylt zu Besuch seid, besucht sie doch im Sylt Museum in Keitum – vielleicht lernt ihr ja sogar ein paar Worte Sölring: Jährlich bietet die Sölring Foriining nämlich auch Sprachkurse an!