Für mich als Sylt-Neuling ist das Biikebrennen, das jedes Jahr am 21. Februar stattfindet, eine außergewöhnliche Tradition. In meiner Heimat (in der Nähe von Berlin) gibt es zwar Osterfeuer, aber die würde man eher als große Lagerfeuer bezeichnen und sie sind auch recht spärlich besucht. Im Gegensatz dazu gab es hier auf der Insel seit Wochen kein anderes Thema mehr und einige Kollegen haben sich sogar die ganze Woche frei genommen, um die Biike gebührend zu feiern. Letztens wurde mir sogar schon eine „Schöne Biike!“ gewünscht, wie man sich sonst eben ein schönes Wochenende wünscht. So viel Vorbereitung, Aufregung und Tradition über alle Generationen hinweg habe ich selten erlebt.

Um auch wirklich das volle Biike-Erlebnis zu bekommen, wurde ich von meiner Kollegin schon am Sonntag zur Biikewache in Tinnum mitgenommen. Die Tinnum-Burg kannte ich bisher nur aus der warmen Jahreszeit und war dementsprechend überrascht, wie anders der Biikeplatz so kurz vor dem großen Tag aussah. Große Berge von Grünschnitt, Tannenbäumen, Geäst und anderem Holzabfall, Matsch überall und ein Stab in der Mitte der größten Anhäufung. Hier kann jeder seinen Beitrag zur Biike leisten und Brennmaterial vorbeibringen. Ich war bei der Biikewache der Frauen vom Sportverein Tinnum 66 mit dabei. Für die gemütliche Stimmung und ein wenig Wärme sorgte ein kleines Lagerfeuer, auf dem bereits die ersten Tannenbäume loderten. Denn wenn es zur Biike eins im Überfluss gibt, dann ist es Brennmaterial. Bei warmen Getränken, Würstchen und anderen Leckereien wechseln sich jedes Jahr verschiedene Vereine und Gruppen ab, um die Biike möglichst rund um die Uhr zu bewachen.

Da fragt man sich jetzt zurecht: Warum muss die bewacht werden? Da die Biike schon mehrere Tage im Voraus aufgeschichtet wird und jeder Ort seine eigene hat, kann es schnell zu Rivalitäten kommen. Schließlich ist jeder Ort felsenfest davon überzeugt, das beste und schönste Biikebrennen zu veranstalten. Und um die Konkurrenz einfach vorher aus dem Weg zu räumen, versucht man, die Biike der Nachbardörfer vorher abzufackeln. Was für ein Stress, wenn das Dorf in so kurzer Zeit eine neue, und wahrscheinlich kleinere, Biike aufschichten muss! Bei der Biikewache geht es also nicht nur um geselliges Zusammensein, sondern man hat eine wichtige Aufgabe. Auch wir drehten abwechselnd unsere Runden um den imposanten Biike-Berg, damit sich auch ja niemand unbemerkt anschleichen konnte.

Am Dienstag war es dann endlich so weit und das Biikebrennen stand an. Um die Biike gut im Blick zu haben, waren wir schon um 18 Uhr an der Tinnumburg und konnten einen guten Platz ergattern. Dabei spielt vor allem die Windrichtung eine große Rolle, denn wenn man sich die falsche Seite aussucht, kommt man völlig verräuchert nach Hause. Es war aber fast windstill und so konnte man sich rund um die Biike verteilen. Den Fackelzug vom Tinem Hüs konnten wir schon von Weitem sehen und hören. Denn er wurde vom Mädchen-Musikzug Neumünster begleitet. Schon auf dem Weg zum Biikeplatz begegneten mir zahlreiche Menschen mit Fackeln, aber als die lange Schlange von Fackeln über die Felder marschierte, fühlte ich mich wie bei einem geheimen Ritual. Eine riesige Menschenmenge rund um die Biike, die Fackeln in der Hand halten und altfriesische Lieder singen – das klingt für Außenstehende schon sehr verrückt.Nach der Biikerede von Raphael Ipsen, dem Ortsbeiratsvorsitzenden von Tinnum, wurde zu „Tjen di Biiki ön!“ schließlich die erste Fackel auf die Biike geworfen und sie verwandelte sich in Nullkommanichts in ein flammendes Inferno. Ich konnte die Hitze im Gesicht spüren, das Knistern der Tannenbäume hören und hatte den Geruch von Rauch in der Nase. Und in diesem Moment verstand ich die Faszination des Biikebrennens: Eine uralte Tradition, die den Abschied vom Winter, tief verwurzelte Traditionen und unendliche Heimatliebe feiert. Sie soll böse Geister vertreiben und die neue Saat schützen, außerdem diente das Biikebrennen als Abschiedsfeuer für die Seeleute, die im Februar wieder aufbrachen. Heutzutage ist diese Tradition vor allem ein Weckruf für die neue Saison und holt die Insel aus ihrem wohlverdienten Winterschlaf. Seit 2014 gehört das Biikebrennen sogar zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe.Als nach über einer Stunde endlich die Tonne fiel, wurde das Biikebrennen in Tinnum unter großem Applaus beendet. Das ist immer der Zeitpunkt, an dem man sich auf den Weg zum traditionellen Grünkohlessen macht. Die letzten Fackeln wurden in die halb heruntergebrannte Biike geworfen und alle waren glücklich, seit zwei Jahren endlich wieder ein richtiges Biikebrennen erlebt zu haben. Auf dem Rückweg sah ich in der Ferne die Feuerscheine der Archsumer und Westerländer Biiken leuchten und hatte das Gefühl, die gesamte Insel wäre für diesen Moment durch die Tradition der Biike vereint. Und das ist doch das wichtigste, oder?